Die Übertreibungskrankheit

Neulich habe ich etwas gelesen, was mir so gar nicht bewußt war, was aber nicht nur bedenklich ist, sondern was auch auf Verhalten, Gesellschaft, Miteinander, Politik etc. einen gewaltigen Einfluss hat.

Wir sind die letzte Generation, die ohne “Social Media” aufgewachsen ist. 

Ernsthaft, ich empfinde das als Privileg, denn aus meiner Sicht haben Internet und die sozialen Medien mehr Schaden angerichtet als Gutes getan, aber das ist lediglich meine Meinung. Wenn man sieht, wie Regierungen, Parteien, aber auch Medien das Netz und Social Media nutzen, um Meinungen zu steuern, Wahlen zu beeinflussen (Brexit, Trump, Putin, China etc.) und wenn man sieht, welche Auswirkungen das auf das tägliche Leben (Impfverweigerer, Querdenker, MAGA-Anhänger) hat, sollte man Angst bekommen. Denn so etwas wie Normalität existiert nicht mehr, heute ist social Media-gesteuert grundsätzlich alles eine MEGA-Sensation oder eine ATOM-Katastrophe, dazwischen existiert nichts mehr. Für Vorgänge, die früher bestenfalls eine Randnotiz wert waren, werden heute maximale Superlative erfunden, es geht nicht mehr darum, die Realität abzubilden, sondern mit reißerischen Sprüchen so viele Klicks wie möglich zu generieren. So etwas wie Verantwortung für die gesendeten Meldungen oder den daraus resultierenden Ergebnissen existiert nicht mehr, heute “gewinnt” der, das am weitesten das Maul aufreißt, der am ungehemmtesten übertreibt, dessen Märchen und Lügen sich mit der Wahrheit nicht im Mindesten decken. Denn zu einem sogenannten Faktencheck kommt es in den seltensten Fällen, dafür bleibt kaum Zeit, weil sich am nächsten Tag die Meldungen erneut überschlagen und die MEGA-Sensation durch eine GIGA-Sensation ersetzt wird. Ich weiß, ich weiß, Opa erzählt vom Krieg, aber ich wünsche vielen 20 oder 30-Jährigen, dass sie einmal die Chance hätten, in den 80er oder frühen 90er-Jahren zu leben, sie würden sich verwundert die Augen reiben, wie schön das Leben sein kann.

Wie in so vielen Fällen, ist auch in diesem Fall der KSV ein Mini-Abbild der gesamten Situation, auch beim Verein von der Müllverbrennungsanlage existiert so etwas wie wohltuende Normalität schon längst nicht mehr. Wenn früher von einem KSV-Spieler gesprochen wurde, ist heute jeder Maltafuß jenseits der 24 ein KSV-Star, wenn er jünger ist, firmiert er als KSV-Juwel. Jedes Trikot ist der ultimative Kracher, jeder Transfer ist ein unfassbarer Deal, jedes dahingestümperte 2:1 ist ein überragender Sensationssieg, ein neuer Höhepunkt, ein Meisterstück des Taktikfuchses an der Seitenlinie. Wenn man nun von den dünn angerührten “Fans” erwartet, dass sie diese Maßnahmen durchschauen und für sich richtig einordnen, verlangt man zuviel, denn die Meisten von ihnen sind mit einer Social Media-Welt der gnadenlosen Übertreibung aufgewachsen, sie können dem Mega-Dauerfeuer intellektuell nicht mehr standhalten, sie wollen es auch gar nicht. Man stelle sich einmal die staunenden Augen vor, sollten Mopo, BILD und Kampagnenblatt morgen damit beginnen, normale Vorgänge und Ereignisse als das abbilden, was sie sind, nämlich normal. 

Ich bin froh, dass ich eine normale und durchschnittliche Welt noch kenne bzw. mich an sie erinnern kann. An einen Gewinn des Europapokals der Landesmeister aus dem Jahr 1983 erinnern sich noch viele, aber wer weiß noch, wer 2021 die Europa League gewann? Eine Champions League, in der neben den Landes-Champions auch die Tabellen-4. der letzten Saison spielen, eine Europa League, eine Conference League, eine Hühner-League. Mich wundert, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, eine Art Champions League für die Zweitligisten eines jeden Landes spielen zu lassen, damit könnte man auch noch den einen oder anderen Euro machen. ARD, ZDF, RTL, SAT1, Pro7, Eurosport, SKY, DAZN und und und. Wer nicht mitstreamt oder bezahlt, kann nicht mehr mitreden. Ehrlich, ich will gar nicht mehr mitreden können!

Von | 2024-08-06T07:18:29+02:00 6. August 2024|Allgemein|10 Kommentare

10 Comments

  1. BesuchausdemSueden 6. August 2024 um 07:56 Uhr

    Ich bin auch richtig froh ohne Internet und ohne Social Media aufgewachsen zu sein. Erst vor kurzem habe ich mich mit einem alten Schuldfreund getroffen mit welchem ich früher immer zum Zelten ans Mittelmeer gefahren bin und wir haben uns darüber unterhalten, dass wir ganz ohne Klimaanlage, Navi, Apps etc einfach in einer rostigen Karre vollgepackt drauflos gefahren sind. 1500 km bis nach Spanien auf einen Rutsch waren da gar kein Problem und das nur mit 4 Dosen Cola, ner Schachtel Zigaretten pro Nase, selbst aufgenommen Musikkassetten und dem guten alten ADAC Straßenatlas. Für uns war das das pure Glück. Heutezutage finden die jungen Leute ohne Smartphone ja nicht mal mehr das richtige Gleis am Bahnhof und würden ohne Google Maps sich schon in der eigenen Stadt verfahren. Wie du es richtig geschrieben hast, die jungen Leute haben keine Vorstellung wie entspannt das Leben einst mal war und wir man mit auch nur wenig Geld in der Tasche viel Freude haben konnte.

  2. ToniHH 6. August 2024 um 08:32 Uhr

    Ihr habt alle recht…die guten alten faltbaren ADAC Straßenkarten 😅. Es war eine andere Zeit.
    Beruflich Diktiergerät ..Schreibpool mit 4/5 Sekretärinen …Telex FaX Computer Internet Cloud …alles schneller – jeder erwartet eine sofortige Antwort…entsetzlich wenn man die
    „guten alten Zeiten“ kennt.

    Man passt sich an und es entsteht eine andere Art von Kommunikation…wie dieser Blog hier.

  3. StPatrick 6. August 2024 um 09:08 Uhr

    Absolute Zustimmung!
    Den Anfang hat insbesondere Facebook gemacht, das die persönliche Eitelkeit getriggert hat. Jeder hat sich und sein Leben nur noch in den schönsten Farben und Bildern dargestellt und sich damit einen Ego-Boost verschafft, indem man sich innerlich an der Vorstellung aufgegeilt hat, dass die anderen jetzt neidvoll rüberschauen in ihrem tristen Alltag. Dass der eigene Alltag mindestens genauso trist ist, hat dann nicht mehr so geschmerzt. Nach und nach haben sich dann alle hektisch überboten. Der noch bessere Urlaub, der noch grünere Garten, das noch opulentere Mahl.
    Schon in den 90ern führte mein Soziologie-Professor mit viel Weitblick den Begriff Selbstreferenzialität ein, der das beschriebene Phänomen sehr passend prophezeite.

  4. Alex 6. August 2024 um 11:07 Uhr

    Die heutige Gesellschaft hat vor allem ein Bildungsproblem. In Kombination mit dem Streben nach freiwilliger Selbstverblödung und einem Zeitgeist, der jeden Wunsch nach Leistung und Erfolg ächtet, bleibt für das Individuum eben nicht mehr viel übrig.

    Scheiß auf Schule und Arbeit heißt auf den HSV bezogen Scheiß auf Leistung und Aufstieg. DAZKE und ENDE

    PS: Am hilfeichsten fand ich im ADAC-Paket immer die Broschüre „Tanken neben der Autobahn“.🤑🤑🤑

  5. kczyk 6. August 2024 um 11:48 Uhr

    „… so etwas wie Normalität existiert nicht mehr, heute ist social Media-gesteuert grundsätzlich alles eine MEGA-Sensation oder eine ATOM-Katastrophe, dazwischen existiert nichts mehr … Ich bin froh, dass ich eine normale und durchschnittliche Welt noch kenne bzw. mich an sie erinnern kann.  …“

    Als Normalität wird das Selbstverständliche in einer Gesellschaft bezeichnet, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss.
    Doch das Selbstverständliche ist einem permanenten Wandel unterworfen.
    Ich (71 J.) zB nutze mein Smartphone erst seit ca. 7 Jahren selbstverständlich und intensiv.

    Die Hyperbel ist keine Nachricht, sondern ein Stilmittel der schreibenden Zunft. Gemeint ist der Gebrauch von übertriebener Sprache.
    Sie wird eingesetzt, um eine Aussage oder Meinung zu betonen. Sie fungiert in der Gegenwart auch als Lautstärkeregler. Schließlich will im Zeitalter von Social-Media möglichst jede Meinung gehört/gelesen werden.

    Übertreibungn in Nachrichten sollten nicht wörtlich genommen werden.
    Der typische NordtribühnenFan aber kann offensichtlich nicht anders. Er lässt sich von den Übertreibungen in den Berichten über den KSV hynotisieren, in eine andere Wirklichkeit tragen.

    Er erkennt nicht, dass die Berichte über seinen HSV in der Hamburger Journaille Marketingaufgaben erfüllen – auch ihn bei der Stange zu halten.
    Er darf alles, sogar Pyro gebrauchen, aber er darf nicht über das Geschriebene nachdenken und es reflektieren.

  6. Serioeser Kritiker 6. August 2024 um 12:09 Uhr

    Was den HSV betrifft und Social Media allgemein stimme ich zu, das sieht man ja tagtäglich an den Schlagzeilen für die verblödeten Hüpfer. Fakt ist leider auch, dass weniger reißerische journalistische Angebote es sehr schwer haben, wahrgenommen und finanziert zu werden.
    Die Pauschalkritik an “der Jugend” aus nem Kommentar kann ich nicht nachvollziehen, denn aus persönlichen Gesprächen mit bspw. meinen Kindern weiß ich, dass zumindest die mit einer gewissen Bildung es genauso nervig finden wie wir “älteren”, wie Nachrichten heute an vielen (nicht allen!) Stellen aufbereitet werden.

  7. RickmanDrongel 6. August 2024 um 12:50 Uhr

    Sehr schön auch die Kategorisierung der KSV Maltafüße , nach Lebensalter. Normale “Spieler” oder “Profis” gibt es nicht mehr.

    – Bis ca 17 Jahre: KSV Top-Talent
    – 17-23 Jahre: KSV- Juwel oder KSV-(Super-)Star
    – Ab 24 Jahre: KSV-Legende

    – Bei Kombination aus Alter plus Erfolglosigkeit/ dauerhaft Ersatzbank auch gerne:
    KSV – Maskottchen

    – Sonderrolle: Identitätsbetrüger Mitte 30 = “Daffeh”

  8. HorstRomes 6. August 2024 um 13:33 Uhr

    Ich finde es äußerst wichtig sich eine Insel zu schaffen, sich zurückziehen und dann die Ruhe zu genießen. Ich gehöre auch zu der von Grave benannten Generation. Dank beruflicher Notwendigkeit halte ich mich im Umgang mit den modernen Medien für tauglich, leider ist dies mittlerweile echt nötig, um von Aussen nicht als Dödel dazustehen. (kauf mal heutzutage ein neues technisches Gerät, z.b. Im einem Mediendiscounter…… ha ha ha,da gibts junge “Jugendliche” mit extra Jugend, die dich mitleidsvoll angucken. Die Krux bei der aktuellen Entwicklung ist, daß dem Nachwuchs viele “Softskills” fehlen, ein Großteil derer weiß gar nicht was das ist. Wir sollen mehr oder weniger verblöden und leider funktioniert dies, bis auf Ausnahmen, perfekt. Zum großen KSV: Die Kommentare bei Sport 1= nur gewinnorientiert, alles super und in der 89 Minute, wird ein verlorenes Spiel noch nicht verloren gegeben, um nur nicht abzuschalten.Und die sogenannten Fachkommentatoren= blubbern, bejubeln und predigen Begeisterung, von den Auftragsblättern brauchen wir hier gar nicht reden. Ist mal wieder Zeit für ne kleine Spende, Danke lieber Grave für deinen heutigen Beitrag. 9 Tage die Woche…….

  9. Rhya 6. August 2024 um 15:30 Uhr

    Kennt noch jemand den guten alten MicroFish? Mit dem Ding hab ich Jura studiert. Ungefähr in der Halbzeit kam dann mein erster PC. Ich weiß noch, wie ich als Kind ständig mit meinen Freunden draußen war. Morgens raus, abends zum Abendessen wieder rein. Meine Eltern? Die waren da ganz cool. Was sollte auch passieren. Heutzutage orten die ihre Kinder per Telefon.
    Und was den KSV betrifft: die angeschlossenen Medien helfen auf diese Weise mit, dem Verein so etwas wie Relevanz zu verleihen. Damit die Hüpfer auch artig weiter hüpfen.

  10. Gravesen 6. August 2024 um 21:11 Uhr

    Mittlerweile kann man sich im Insolvenzblog nicht nur den kopierten Blog, sondern auch die behinderten Kommentare wegsparen. Vergleichbarer Verfall wie der Verein selbst

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